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Die Burg Michelsberg

17.9.2025
6 Minuten

Ein romanisches Juwel in den Hügeln Siebenbürgens

Zusammenfassung

Hoch über dem kleinen Dorf Michelsberg (rumänisch Cisnădioara, ungarisch Kisdisznód) thront auf einem fast runden Berg eine der beeindruckendsten Burgen Siebenbürgens. Die Burg Michelsberg mit ihrer romanischen Basilika gehört zu den ältesten und am besten erhaltenen Bauwerken dieser Zeit in ganz Transsilvanien. Sie erzählt dir eine spannende Geschichte von klösterlicher Macht, meisterhafter Baukunst und jahrhundertelanger strategischer Bedeutung.

Ein steinernes Zeugnis aus dem 12. Jahrhundert

Die Ursprünge der Burg Michelsberg reichen tief ins Mittelalter zurück. Bei archäologischen Grabungen im Jahr 1964 wurde eine Münze aus dem Jahr 1172 gefunden, die darauf hindeutet, dass der Bau der Anlage bereits im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts begann. Diese außergewöhnliche Datierung macht die Burg zu einer der frühesten befestigten Kirchenanlagen in Siebenbürgen – noch vor dem verheerenden Mongolensturm von 1241, der weite Teile der Region verwüstete.

Die erste urkundliche Erwähnung der Burg findet sich in einer Schenkungsurkunde von 1223, in der die Hermannstädter Propstei das Land um den "Sankt Michaels-Berg mit der Kirche und dem ihr gehörenden Grund" an König Andreas II. übertrug. Dieser wiederum schenkte die Anlage seinem Günstling Magister Gocelinus, der sie "zum Heil seiner Seele" an die mächtige Kerzer Zisterzienserabtei weitergab.

Die romanische Basilika: Ein architektonisches Meisterwerk

Das Herzstück der Burganlage bildet die dem heiligen Michael geweihte dreischiffige romanische Basilika, die zwischen 1180 und 1280 in drei Bauphasen errichtet wurde. Was diese Kirche so außergewöhnlich macht, ist ihre nahezu unveränderte Erhaltung – ein seltener Glücksfall in einer Region, in der die meisten mittelalterlichen Sakralbauten durch spätere Umbauten ihr ursprüngliches Erscheinungsbild verloren haben.

Der Bau erfolgte in strategischen Etappen: Zunächst wurde der Chor ausgebaut, wie eine deutlich sichtbare Baunaht zwischen dem Chorraum und den Ostwänden der Seitenschiffe belegt. Die drei Schiffe entstanden in einer zweiten Bauphase, während das Obergeschoss des nördlichen Turms – konzipiert als Wehrturm – die dritte und letzte Bauetappe darstellt.

Das prachtvolle Westportal: Steinmetzkunst auf höchstem Niveau

Die wahre Pracht der Basilika offenbart sich am vierfach gestaffelten Westportal, das als kunsthistorisches Juwel ersten Ranges gilt. Dieses Portal weist besonders schöne Steinmetzarbeiten auf und stellt den reichsten Schmuck der gesamten Basilika dar. Die tiefe, viermal abgetreppte Leibung wird von einem ebenfalls viermal gestaffelten Rundbogen abgeschlossen.

In den Nischen der Treppenstufen stehen jeweils vier Säulen mit rundem und achteckigem Querschnitt – eine außergewöhnliche Variation, die das Portal von anderen romanischen Werken der Region unterscheidet. Die Würfelkapitelle sind mit Spiralenbändern, Eckblättern, Kerbschnittmustern und Menschenköpfen dekoriert – eine Ornamentik, die die hohe Kunstfertigkeit der beteiligten Steinmetzen bezeugt.

Zwei Doppelbogenblendarkaden flankieren das Portal und verleihen der gesamten Westfassade eine monumentale Wirkung. Diese architektonische Komposition ist in Siebenbürgen einzigartig und demonstriert den hohen künstlerischen Anspruch der Erbauer.

Die Wehranlage: Strategische Verteidigung auf dem Bergkegel

Die besondere topographische Lage der Burg auf einem steilen, kreisrunden Bergkegel erforderte eine durchdachte Befestigungsstrategie. Bereits zu Beginn des 13. Jahrhunderts wurde um die romanische Kirche eine Ringmauer gebaut, die die Anlage zu einer der wenigen siebenbürgischen Kirchenburgen macht, die schon vor dem Mongolensturm befestigt waren.

Die Befestigungsanlage bestand aus mehreren strategischen Elementen: Im Süden steht ein Torturm, der an der Innenseite der Mauer errichtet wurde. Entlang der Mauer verlief ein Wehrgang mit Zinnen, der den Verteidigern eine erhöhte Position verschaffte. Ein zweiter Turm stand einige Meter vor der Ringmauer im Norden und verstärkte die Verteidigungslinie zusätzlich.

Von den ursprünglichen acht Toren der Befestigungsanlage haben sich nur noch Reste erhalten. Diese zahlreichen Ausgänge dienten nicht nur der Flucht, sondern ermöglichten auch Ausfälle gegen Angreifer von verschiedenen Positionen aus.

Die Tradition der Brautsteine: Verteidigung durch Heiratswillige

Eine der faszinierensten Traditionen der Burg Michelsberg war der Brauch der Brautsteine. Der Sage nach musste jeder heiratswillige Mann in der Nacht vor seiner Hochzeit einen mächtigen runden Felsstein den steilen Berg zur Kirchenburg hinaufrollen. Diese Steine, die bis zu 100 Kilogramm wiegen konnten, wurden auf der Befestigungsmauer gelagert und sollten im Belagerungsfall auf die Angreifer hinabgerollt werden.

Dieser Brauch erfüllte einen doppelten Zweck: Zum einen bewies der Bräutigam seine körperliche Stärke und Eignung als Ehemann, zum anderen trug er praktisch zur Verteidigung der Gemeinschaft bei. Die Tradition hielt sich erstaunlich lange – noch um 1850 lagen große runde Steine auf der Umfassungsmauer, und Teile dieses Brauchs werden sogar heute noch bei Hochzeitsfeiern praktiziert.

Die Kerzer Klosterherrschaft: Macht und Niedergang

Die Geschichte der Burg ist untrennbar mit dem Kloster Kerz (Cârța) verbunden, der östlichsten Zisterzienserabtei Europas. Diese 1202 gegründete Abtei erhielt 1223 die Burg Michelsberg als Schenkung und baute sie zu einem wichtigen Stützpunkt ihrer geistlichen und weltlichen Macht aus.

Das Kloster unterhielt nicht nur die Burg, sondern war auch aktiv in die Kolonisierung der Region eingebunden. Die Bewohner Michelsbergs waren Hörige des Klosters und mussten entsprechende Abgaben leisten. Diese Abhängigkeit führte im 15. Jahrhundert zu erheblichen Spannungen, als Abt Raimund Bärenfuß hohe Steuern von den Michelsbergern forderte.

Der Niedergang des Klosters begann mit den türkischen Einfällen ab 1421, die der Abtei schweren Schaden zufügten. Der moralische Verfall im Inneren tat sein Übriges, sodass König Matthias Corvinus am 27. Februar 1474 die endgültige Auflösung der Abtei verfügte. Nach dieser Zäsur kamen die Burg und das Dorf unter die Verwaltung des Hermannstädter Stuhls.

Jahrhunderte des Verfalls und der Wiederentdeckung

Nach der Auflösung des Klosters begann eine Zeit des Niedergangs für die Burg Michelsberg. Jahrhundertelang war die Kirche ohne Dach – das heutige Dach stammt erst von 1787. Die Kirche diente zeitweise als Depot, in dem sich Truhen und Fruchtkästen stapelten.

Ein langwieriger Rechtsstreit entbrannte zwischen den Gemeinden Michelsberg und Heltau um die Kontrolle über die Burg, wahrscheinlich wegen der Einnahmen der Wallfahrer, denn die Kirche war zu einem bedeutenden Wallfahrtsort geworden, wie verblichene Weihekreuze im Putz bezeugen. Der Papst sprach die Burg einmal der einen, dann der anderen Seite zu, was zu anhaltenden Konflikten führte.

Architektonische Besonderheiten und Anpassungen

Die Architektur der Kirche musste sich den landschaftlichen Gegebenheiten anpassen. Aufgrund des begrenzten Platzes auf dem Bergkegel musste das Kirchenschiff verkürzt werden, weshalb der Kirch- und Wehrturm seitlich an das Schiff anschließt. Diese pragmatische Lösung zeigt die Geschicklichkeit der mittelalterlichen Baumeister im Umgang mit schwierigen topographischen Bedingungen.

Vom Kirchenschiff aus führen zwei Treppenstollen innerhalb der mächtigen Außenmauern in die Stümpfe der niemals vollendeten Türme. Diese Konstruktion verdeutlicht, dass die Burg niemals vollständig ausgebaut wurde – möglicherweise aufgrund der wechselvollen politischen Verhältnisse oder finanzieller Engpässe.

Die Burg als lebendiges Denkmal

Heute steht die Burg Michelsberg als eines der wenigen nahezu unverändert erhaltenen Zeugnisse der Romanik in Siebenbürgen. Der Innenraum der Kirche, der heute als Gedenkstätte für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs dient, beeindruckt durch seine kontemplative Stille. Die wenigen Ausstattungsstücke – hauptsächlich Grabplatten im Altarraum – lassen die ursprüngliche Pracht nur erahnen.

Der Innenraum der Kirche, der heute als Gedenkstätte für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs dient.

Der Innenraum der Kirche, der heute als Gedenkstätte für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs dient.

Die Burg Michelsberg repräsentiert mehr als nur ein historisches Monument. Sie verkörpert die komplexe Geschichte Siebenbürgens mit ihren verschiedenen kulturellen Einflüssen, ihrer strategischen Bedeutung als Grenzregion und ihrer einzigartigen architektonischen Synthese aus sakraler und militärischer Baukunst. In einer Zeit, in der viele mittelalterliche Bauten durch moderne Umbauten ihr authentisches Gesicht verloren haben, steht Michelsberg als seltenes Zeugnis einer fernen Epoche – ein steinernes Gedächtnis, das noch heute von der Kunstfertigkeit und dem Glauben seiner Erbauer erzählt.